Die Urangst des Verlassen werden

Urangst des Verlassen werden

Wir alle kennen ganz verschiedene Ängste. Für einige können wir eine konkrete Ursache ausmachen. Manchmal zeigen sich jedoch auch Ängste, die wir nicht zuordnen können. Sie sind einfach da, ohne konkreten Anlass. Eine dieser Ängste ist die Urangst des Verlassen werden.

Ängste aufgrund von Erfahrungen

Oft entstehen Ängste aufgrund von konkreten Erfahrungen. Diese sind gut nachvollziehbar und zu begründen. Wenn jemand zum Beispiel einmal von einem Hund gebissen worden ist, wird diese Situation vermutlich in seinem instinktbasierten Reptilienhirnbereich als Kombination „Hund“ und „Vorsicht Gefahr“ abgespeichert. Eine Angstreaktion entspricht daher in dieser Konstellation einer natürlichen Überlebensreaktion. 

Plötzliches Gefühl des Verlassen-Seins

Manchmal zeigen sich jedoch auch Ängste, die nicht so einfach einem Erlebnis zuzuordnen sind.

Für meinen Sohn war ich in den ersten Lebensjahren die Hauptbezugsperson. Wir hatten eine wundervolle vertrauensvolle Beziehung, die sich bis heute erhalten hat. Wenn wir während seiner Kleinkindzeit zusammen unterwegs waren, fühlte er sich sichtlich wohl, war zufrieden und lachte fast immer. Zuhause hat er seinen Erforschungsraum Stück für Stück weiter ausgedehnt. Er hatte die Sicherheit, dass ich da war, wenn er vom Spielen draußen oder bei anderen Kindern wieder nach Hause kam.

Die Urangst des Verlassen werdenIch durfte meinem Sohn also viel Geborgenheit geben und sein Vertrauen aufbauen. Doch dann kam der erste Kindergartentag. Auch dort fand er ein spannendes neues Entdeckungsfeld vor. Natürlich habe ich ihn zum Start dorthin begleitet. Als er sich dann aber alleine, das hieß in diesem Fall mit den anderen Kindern aus dem Quartier, auf den Weg machen sollte, überfiel ihn eine Angst. 

Jeden Morgen klammerte er sich an mich und wollte nicht alleine zum Kindergarten laufen. Es brauchte ein paar Wochen, bis er das Vertrauen hatte, dass ich immer noch zuhause bin, wenn er mittags wiederkommt.

Für dieses Verhalten fand ich damals keine Erklärung. Was war der Grund, dass seine Angst verlassen zu werden, sich auf einmal so dominant zeigte? Von außen betrachtet erschien sie ganz unbegründet.

Universelle Ängste

Neben ganz konkreten Ängsten scheint es also auch Reaktionsmuster zu geben, die eine andere Grundlage haben. In diesem Fall sind es nicht die eigenen Muster, nach denen die Angstreaktion abläuft. Da nicht an eine konkrete Situation angeknüpft werden kann, wird  dabei oft eine andere Person zur Projektionsfläche für diese Angst. Im Beispiel bin ich das gewesen.

Universelle Ängste basieren auf tiefen Mustern aus dem universellen Unterbewussten. Wenn wir in einer konkreten Situation durch emotionalen Stress eine hohe Ladung erleben, knüpfen wir unbewusst an die tiefen Urängste an. Je höher die Ladung ist, desto größer wird die Angst.

Für meinen Sohn war die neue Situation im Kindergarten fremd. Er konnte nicht mehr selber entscheiden, wann er wo hingeht und was er wann tun möchte. Auch konnte er sich nicht bei Bedarf zur mir in „Sicherheit bringen“. Auf einmal war er auf sich alleine gestellt. Das hat vermutlich einen hohen emotionalen Druck in ihm aufgebaut und letztendlich  die Angst, alleine und verlassen zu sein, genährt.

Doch woher kommen solche universellen Urängste?

Trennung von unserem Schöpfer

In unserer Gesellschaft erleben wir sehr viel Aufteilung und Trennung von einander. In Wirklichkeit sind wir über die Schöpfung alle mit allem verbunden. Das Gefühl der Trennung sitzt jedoch tief in jedem von uns.

Das Hauptgebet der Christen ist das „Vater unser“. Dort kommt die Trennung bereits im ersten Satz sehr klar zum Ausdruck:

„Vater unser, der Du bist im Himmel“

Die Urangst des Verlassen werdenUnser Schöpfer ist also irgendwo abstrakt an einem Ort, den wir Himmel nennen. Wir dagegen sind hier auf der Erde. Das erzeugt das Gefühl, alleine zu sein. 

Es gibt zwar eine Kraft, die für unser Sein auf dieser Erde verantwortlich ist. Aber irgendwie sind wir von dieser schöpferischen und uns letztendlich auch nährenden Energie getrennt. Daraus entsteht ein Gefühl, dass wir hier auf die Erde in dieses Leben gesetzt und dann alleine gelassen worden sind.

Verhaltensmuster aus der Urangst heraus

Im Leben lernen wir zu einem gewissen Grad, mit dieser Urangst auf eine gesellschaftskonforme Art und Weise umzugehen. Es entstehen Verhaltensformen, die dieses Verlassenheitsgefühl unterdrücken oder verstecken.

Verschiedene Formen der Auseinandersetzung mit der universellen Angst, verlassen zu werden, zeigt sich immer wieder in Beziehungen. Trotz der Sehnsucht nach Nähe zu einem Partner ziehen sich manche Menschen lieber immer wieder zurück, bevor sie vom Partner verlassen werden könnten. Aus Angst vor Verletzungen treten sie den Rückzug aus der Beziehung an. Der Schutzmechanismus sieht also vor, dem Verlassen-Werden zuvor zu kommen, und lieber selber diesen Schritt zu gehen.

Die andere Seite ist es, immer wieder verlassen zu werden. Auch das ist ein Verhaltensmuster. Die Partner spiegeln so die eigene Angst perfekt. 

Vor lauter Angst, verlassen zu werden, können in Beziehungen so einige Macht- und Kontrollmechanismen aktiv werden. Das kann vom Klammern und Festhalten des Partners bis zu regelrechten manipulativen Verhaltensweisen gehen. Letztendlich erstickt dies die ursprüngliche Liebe und es kommt erst recht zur Trennung. Die Urangst, verlassen zu werden, erhält so ihre Bestätigung.

„Du erstrahlst in uns, um uns herum“

Ein wichtiger Schritt aus diesem Teufelskreis herauszukommen, ist die Bewusstmachung dieser tief sitzenden Muster, die zu den scheinbar unabänderlichen Angstspiralen führen. Das, was wir verstehen, können wir auch ändern. Dazu gibt es wundervolle Hilfsmittel.

Gerne komme ich noch einmal zurück zum „Vater unser“. Dieses zentrale Gebet in unserem christlich geprägten Kulturkreis können wir auch ganz anders verstehen.

Wir sind in der Regel mit dem „Vater unser“ und dieser Aufteilung Gott irgendwo oben und wir als Menschen hier Die Urangst des Verlassen werdenauf der Erde sozialisiert worden sind. Wenn wir das aramäische Original des „Vater unser“ ansehen, kommt jedoch ein verbindendes Miteinander mit der göttlichen Kraft zum Ausdruck. Es heißt dort nämlich

„Strahlender: Du erstrahlst in uns, um uns herum – selbst die Dunkelheit strahlt – wenn wir uns erinnern.“

Dies drückt ein tiefes Durchdringen von uns Menschen mit der Schöpfungsenergie aus. Sie fließt in all das, was wir als unsere Welt wahrnehmen und auch in uns selber. Wir sind also immer mit allem verbunden.

Daran dürfen wir uns wieder erinnern!

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